Samstag, 8. September 2007
360 Grad
Ich habe einen Menschen kennengelernt, der mir glücklicher und weiser scheint als alle die bisher meinen Weg kreuzten.
Und ja, das irritiert mich verdammt nochmal.

Natürlich will man etwas davon ab haben, wenn man so ein perfekt funktionierendes Lebensmodell entdeckt. Aber dann kommt wieder der große Zweifler in mir: "Nein, da muss es eine dunkle Seite geben, wahrscheinlich eine durch ein Trauma ausgelöste Amnesie, Selbstverleugnung, vielleicht fristet er ein Dasein in den Klauen einer brutalen Ganzheitlichkeits-Sekte, die ihn dazu zwingt so glücklich zu wirken.."

Und während ich noch das große NEIN formuliere, tippe ich schon "Herzöffnung" bei Google ein und fühle mich als würde ich meine Grundsätze verraten. Und dann auch wieder nicht, denn vielleicht führt der "Weg zum Licht" ja wirklich über Indien, oder, für die mit wenig Zeit, über 3-tägige Seminare bei Menschen, die sich selbst "glücklich" nennen (wenn das nicht schon ein Wunder ansich ist, was dann?).

Bisher schien mir alles immer ziemlich einfach, und was einfach schien, schien mir wahr:

Ererbte hirnchemische Dispositionen machen mich unglücklich, dem trete ich entgegen in dem ich möglichst massiv in meinem Transmitterhaushalt rumpfusche. Dies wiederum bewirkte weitere hirnchemische Wirrungen, welche mich obendrein auch wahnhaft machten. In diesem Wahn kam mir das Modell der Gedanken, die die Welt formen, einleuchtend vor. Somit wäre man wieder bei der, erwiesenermaßen funktionierenden, Autosuggestion und ich muss eigentlich nur eins lernen: Das richtige Denken.

Nun treffe ich bei dieser Suche nach der richtigen Technik der inneren Welterbauung auf diesen ganzen Hippiekram. Nachdem ich zuvor schon die Quantentheorie, den (modernen!) Satanismus, das allesumfassende Chaos und die weiße Magie bemühte.

Soll ich meine weltlichen Anker wirklich lichten und darauf hoffen in einem Land mit mangelnder Hygiene zu meinem, doch sehr nach hygiene-verlangenden, Ich zu finden? Oder endet auch diese Sinnsuche wieder bei 4mg Risperdal, Erhaltungsdosis? Er-halt-ungs-do-sis.
Was soll es denn eigentlich erhalten? Den weißen Streifen geistiger Gesundheit am Horizont, die kurze Phase in der ich, aus Versehen, gesellschaftsfähig bin?

Vielleicht drängt sich der Gedanke auf, dass ich brav meine Tabletten nehmen und die überlangen Ärmel meines weißen Pullovers zusammenknoten soll, dann werde sich das Glück schon automatisch einstellen. Was könnte schon glücklicher machen als ein gesunder Geist?

Gemeine Fangfrage... Kurz wollte ich antworten, dass ich in offensichtlich "gesunden" Phasen auch nicht glücklich war. Aber das führt wiederum zur Frage: War ich denn eigentlich schonmal gesund?

Ich war glücklich als ich überzeugt war, dass die Welt nur in meinem Kopf existiere, alles bloß Konstrukt meiner Gedanken und somit meinem Willen total unterlegen ist.

Die Überzeugung zaubern zu können und die Schutzengel der einzelnen Elemente und Himmelsrichtungen um Hilfe bitten zu können, hat mich auch ziemlich glücklich gemacht.

(In die letzten 2 Absätze lässt sich leicht ein minimaler Kontrollzwang hereininterpretieren, oder?)

Und die Zeitspanne in der alles plötzlich Sinn machte und möglich war und ich die Autorität der Quantenphysiker auf meiner Seite hatte, die war eigentlich auch ziemlich unbeschwert.

Jetzt allerdings, in denen mir von Ärzten, Mitmenschen und kleinen, weißen Pillen glaubhaft versichert wurde, dass diese Überzeugungen doch eher wahnhafter Natur waren, bin ich ängstlich, verwirrt, rastlos.

Eventuell wirkt es nicht ganz so psychotisch, wenn ich mein Glück im Aussteigertum suche, so wie es heutzutage modern ist bei Kindern der oberen Mittelschicht, die nach ihrem Abitur noch schnell die Weisheit mit Stäbchen fressen wollen. Wahrscheinlich wird man sagen, dass ich mich weiterentwickeln wolle, mich selbst suche.

Als ich Schutzkreise auf offener Strasse schlug, darüber nachdachte ob ich mir aus Solidarität zu Charles Manson ein Hakenkreuz zwischen die Augen ritzen soll, mir aus Geldmangel 5 Euro materialisieren wollte kraft meiner Gedanken oder als ich die Pillen, die in meiner Hirnchemie Chaos anrichten selbst aussuchte und nicht auf Rezept erhielt, da galt ich als verloren.

Dieser Mensch, von dem ich am Anfang erzählte, vielleicht war er ja schon vorher, bevor er die Quelle seines Glückes benennen konnte, glücklich und (lebens-)bejahend. Dies würde bedeuten dass es im Endeffekt doch immer darum geht, auf welche Farbe wir beim prenatalen Serotonin-Roulette setzten. Und schon wieder habe ich im Kreis gedacht und ende wieder dort wo ich begonnen habe:

Ererbte hirnchemische Dispositionen machen mich unglücklich, dem trete ich entgegen in dem ich möglichst massiv in meinem Transmitterhaushalt rumpfusche. Dies wiederum bewirkte weitere hirnchemische Wirrungen, welche mich obendrein auch wahnhaft machten. In diesem Wahn kam mir das Modell der Gedanken, die die Welt formen, einleuchtend vor. Somit wäre man wieder bei der, erwiesenermaßen funktionierenden, Autosuggestion und ich muss eigentlich nur eins lernen: Das richtige Denken.

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...vielleicht war er ja schon vorher (...) glücklich und (lebens-)bejahend. Dies würde bedeuten dass es im Endeffekt doch immer darum geht, auf welche Farbe wir beim prenatalen Serotonin-Roulette setzten.

der satz liest sich für mich wie poesie. ich werde heute über ihn nachdenken.

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dein kommentar macht mich jetzt glücklich :) danke.

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