Samstag, 8. September 2007
Wofür es sich zu leben lohnt II
Für diesen Moment lohnt es sich defintiv zu leben und ich fürchte fast, es lohnt sich auch für ihn zu sterben.

Ich öffne ein kleines weißes Briefchen und leere das ihm enthaltende braune Pulver zu 2/3 auf einen Löffel, ich greife mit Daumen und Zeigefinger in eine kleine Dose voll Ascorbinsäure und füge meinem "warm, glowing oil" (*) etwas davon hinzu.

Ich ziehe die Spritze mit Wasser auf bis der Spiegel die 30 Units-Markierung berührt und gebe auch dies auf den Löffel.

Ich erhitze es, die Flamme die das Metall schwärzt und das H auflöst wird bald durch meine Venen fließen und das Mädchen mit den Zündhölzern wärmen.

Durch einen dünnen Streifen eines Zigarettenfilter ziehe ich die Lösung in die Düse der Spritze, halte die Nadel nach oben und scheuche die Luftbläschen weg indem ich mit einem Finger gegen das so teuer gewordene Plastik schnippe.

Mit einem schwarzen Stoffband binde ich meinen Arm ab, ich zittere, Schweiß steht mir auf der Stirn. Noch immer ekel ich mich vor dem Eindringen in meine Venen, auch wenn ich nichts lieber tu.

Ich setze die Nadel flach an, taste nach meiner gequälten Vene. Sicher bin ich nicht, ob an dieser Stelle noch etwas zu holen ist unter der von verheilten Abszessen ergrauten Haut, aber auch jeder fehlgeschlagene Versuch ist das zu Erwartende wert.

Ich habe Glück. In die Düse schießt ein dünner Faden hellrotes Blut, trennt die braune Flüssigkeit, ein Fluß aus Blut im Ödland.

Langsam drücke ich den Kolben herunter. Noch bevor ich die Nadel herausziehen kann erfasst mich eine Welle heißen Glücks, meine Pupillen verengen sich, jeder einzelne Muskel meines Körpers entspannt sich.

Ich wünsche nicht mehr, ich verlange nicht mehr, ich hoffe nicht, ich fürchte mich nicht. Ich bin einfach nur im Jetzt und die Welt ist still.

Beim Schreiben dieses Textes bin ich tausend Tode gestorben. Meine letzte Injektion ist 4 Monate her. In diesen 4 Monaten war ich glücklich. Aber nie so richtig.



*(Der von Björk geklaute Begriff "warm, glowing oil", den ich mit dem Gefühl eines Heroinrauschs assoziere, kommt in ihrem Lied "Heirloom" vor. Die Stimmung des Liedes trifft es auch sehr gut, deswegen hab ich mal das Video zu Heirloom dazu-editiert. nebenbei, das Video dass ich dazu gefunden habe, finde ich wirklich schön!)

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tausend tode die es wert waren, jedenfalls für uns voyeuristisches publikum. dir viel kraft zum widersagen und bejahen, je nach objekt ;)

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oh, vielen dank. zweimal. :)

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